Die Weihnachtsleiche by Perry Anne

Die Weihnachtsleiche by Perry Anne

Autor:Perry, Anne
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Heyne
veröffentlicht: 2012-10-21T16:00:00+00:00


Die Gruftszene und Lucys Ende als Vampir gingen reibungslos über die Bühne. Sie kamen nun zum letzten Akt: die Jagd auf Dracula. Vincent übertrieb Van Helsings Darstellung von Renfield, und beim dritten Anlauf fügte er noch ein paar Details hinzu. Renfield wurde als einst anständiger Mensch gezeigt, der dem Vampir zum Opfer gefallen war. Die Szene war so lebendig und auch tragisch, dass Joshua ihn darum bat, die Details beizubehalten, auch wenn das Stück dadurch fünf Minuten länger dauerte. Dann war es eben so.

»Muss das denn sein?«, protestierte James. »Wir haben jetzt schon zehn Minuten überzogen. Die Zuschauer werden das Interesse verlieren.«

»Nein, glaube ich nicht. Es ist einfach hervorragende Schauspielerei ….«

»Wir sind hier, um zu unterhalten, nicht um anzugeben«, unterstützte Mercy James Kommentar. »Vincent will ja nur Mr. Netheridge imponieren. Er will wahrscheinlich noch eine Hauptrolle im Londoner West End.«

»In dieser Aufführung hat er sie voll und ganz verdient«, bekräftigte Joshua. »Die Details sind entscheidend für das Stück. Er schafft es, dass uns Renfield nicht gleichgültig ist …«

»Renfield ist unwichtig, er soll nur die Handlung weiterbringen«, sagte James verächtlich.

»Ja, und das macht Vincent ziemlich gut«, sagte Joshua ernst. »Der Verfall eines anständigen Menschen zu einem Fliegen und Ratten fressenden Verrückten macht uns deutlicher als alle Worte, wie groß die Macht des Vampirs ist. Durch Van Helsing sehen wir ihn verenden, aber er wird, einen kurzen Augenblick lang, noch einmal zu dem Menschen, der er einstmals war. Nur dieses einzige Mal erleben wir das, und da begreifen wir sogleich, wie tief er gefallen ist. Würden wir Dracula jetzt nicht fürchten, wären wir wahrlich zu dumm.«

James holte Luft, um zu widersprechen, atmete jedoch wieder aus, ohne etwas zu sagen. Er war Schauspieler und Träumer genug, um zu wissen, dass Joshua recht hatte.

Sie spielten das Stück bis zum Ende durch. Sie setzten auch die Lichteffekte ein, die einen Schneesturm simulieren sollten. Sie kürzten den Text bei der Beschreibung der Jagd nach dem Sarg über die Gebirgspässe nach Transsilvanien. Im Westen ging die Sonne unter, und sie töteten Dracula in den letzten Sonnenstrahlen. Als das Licht langsam schwächer wurde und der Vorhang fiel, folgte auf Draculas unheimlichen Schrei zunächst tiefes Schweigen und dann tosender Applaus.

»So wird das klappen«, sagte Joshua nur. »Vielen Dank für Ihre Ideen, Mr. Ballin. Sie haben uns fabelhaft geholfen. Ohne Sie hätten wir es womöglich gar nicht geschafft.«

Ballin verneigte sich lächelnd. »Es war mir ein großes, ja, sogar ein außerordentliches Vergnügen. Miss Alice, ich glaube, Sie haben eine glückliche Zukunft vor sich.«

»Danke«, flüsterte sie mit strahlenden Augen.

Das Abendessen verlief ruhig. Alle waren müde, und es gab keine Probleme mehr zu lösen. Das Textbuch, vielfältig geändert, musste jetzt noch auswendig gelernt werden, damit keine Fehler passierten und niemand plötzlich stecken blieb. Sie waren alle froh, sich frühzeitig zurückziehen zu können. Sie mussten noch eine Menge einstudieren. Für einige von ihnen war eine neue Fassung des Textes ohne die Streichungen und die Randbemerkungen notwendig. Einige fanden es auch sehr hilfreich, den Text selbst noch einmal abzuschreiben, um ihn sich besser merken zu können.



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